- Said Nursi
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Eine Kurzbiographie
Diagnose
Die
Unwissenheit und Armut der islamischen Welt schmerzten Said Nursi sehr. Genauso die Lethargie gegenüber ihrer
Religion, in die die Menschen verfallen waren. Die langen Bildungswege sowie das getrennte
Studium von Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften machten diese für die breite
Schicht der Bevölkerung unzugänglich. Außerdem stellte Said Nursi fest,
dass die
Geistlichen ohne gewisse naturwissenschaftliche Bildung zu Fanatismus neigen und
andererseits die Naturwissenschaftler ohne eine geistig-religiöse Unterweisung zum
Materialismus ohne Ethik.
Als Voraussetzung für das Angehen
der sozialen und religiös-kulturellen Missstände sah er die Notwendigkeit einer Reform
des Schulsystems, wie die Gründung von Hochschulen mit verkürzten Studienzeiten, an
denen sowohl geistige als auch naturwissenschaftliche Fächer in den Sprachen arabisch,
türkisch, kurdisch angeboten werden. Zu den Religionsschulen, den Medresen, merkt Said
Nursi u.a. an:
»Wir halten uns durch
pseudowissenschaftliche Nichtigkeiten in Unwissenheit. Das kann nicht so weitergehen, denn
die Aufrechterhaltung dieses Zustandes führt zu weiterem Untergang und zu
Fremdbestimmung.
Die Medresen müssen und werden
wiederaufleben. Wie ich feststelle hängt ein Teil unseres weltlichen Glücks von den
Wissenschaften der Zivilisation ab.
Von diesen Wissenschaften muss auch ein Teil
ihrer Quellen in den Medresen entspringen, zur Schulung des Verstandes, damit die
Theologen mit diesen Wissenschaften vertraut sind und die geistigen Disziplinen mit
Naturwissenschaft zu verbinden wissen.
Die Lehrkräfte und Religionswissenschaftler
müssen analysierend forschen, in die Tiefe gehen, die Wurzeln finden, sich von den
Einflüssen und Einfärbungen der Jahrhunderte befreien und die Dinge mit Logik
betrachten. ....
Dann ist eine Qualifizierung in
verschiedenen Disziplinen unbedingt von Nöten. ...
Bezüglich eines spezifischen Themas der
Naturwissenschaft besitzen nur Wissenschaftler der entsprechenden Disziplin die Kompetenz
sich zu äußern. Die Meinungen und Urteile anderer Gelehrter dazu, gleichgültig welche
Größe sie in ihrer Disziplin besitzen, sollten keine entscheidungstragende Weite haben
."
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Audienz bei Sultan Abdulhamid's Kader |
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Aufforderung zur Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung
geltender Rechte |
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Verteidigungsrede Said Nursi's |
An der Horhor-Medrese von Van
führte Said Nursi die erste Unterrichtsreform der Türkei durch. Vorab begab er sich 1907
nach Istanbul, um die Bildung weiterer solcher reformierten Schulen zu realisieren und um sich vor
allem für den Bau einer Universität in der Osttürkei einzusetzen. Darüber hinaus
wollte er den Angriffen der westlichen Welt auf den Islam entgegentreten.
- Auch in Istanbul genoss er nach
kürzester Zeit die Anerkennung als Autorität. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich sein
Name Bediuzzaman. Überall hielt er Vorträge und alle Zeitungen berichteten über ihn.
Said Nursi selbst veröffentlichte mehrere Artikel.
Sein Treffen mit Sultan Abdulhamid
brachte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Seine tiefe Religiosität und seine
unnachgiebige Haltung gegen Unrecht zogen die Angriffe aus den verschiedenen Reihen auf
sich. Als er während der Audienz bei Sultan Abdulhamid wegen gewisser Vorkommnisse ihn
kritisierte und anmahnte:
»Im Islam gibt es keine
Unterdrückung. Durch Ausspionieren und anonyme Anzeigen sowie unter Ausschluss der
Öffentlichkeit darf niemand abgeurteilt werden. Die Gerichtsbarkeit darf nur im Rahmen
der geltenden Rechte erfolgen.
Zum andern besteht das Amt des
Khalifen nicht aus Freitagsgebetszeremonien, sondern es verpflichtet zum materiellen und
geistigen Engagieren für die Belange der Muslime auf der ganzen Welt .«
wurde Said Nursi vors Kriegsgericht
gestellt. Im Verlauf dessen wollte man sich seiner entledigen, indem man ihn durch ein
fünfköpfiges Ärztekomitee, bestehend aus einem armenischen, zwei jüdischen, einem
griechischen und einem türkischen Arzt in die psychiatrische Anstalt verwies. Dem zu
untersuchenden Arzt in der Anstalt Toptasi, bat Said Nursi um Anhörung. Er sagte:
»Einem Arzt Unterricht zu erteilen ist absurd,
aber die Ursachen der Krankheit festzustellen helfen ist des Patienten Pflicht. Damit die
Zukunft ihn (den Arzt) nicht bloß stellt, möge er diese vier Punkte berücksichtigen:
1. Ich bin in den Bergen des Ostens
aufgewachsen. Ihr müsst mein Verhalten, meine Kleidung mit der Waage des dortigen messen,
nicht mit den empfindlichen Waagen Istanbuls. Was hier als Höflichkeit gilt, gilt dort
als Heuchelei. ...
2. Ich bin als Moslem verpflichtet, mich für
die nützlichen Dinge für das Volk, die Religion und den Staat einzusetzen.
3. Viele fähige und begabte Menschen wurden
in ihrer Zeit vom Volk als Irre bezichtigt. Oder es wurde als Magie oder Wunder abgetan.
Die Schlussfolgerung, ich sei verwirrt, weil ich alle schwierigen Fragen beantworte -
wer solche Argumente anführt, dessen Geisteszustand selbst sollte in Frage gestellt
werden.
4. Leidenschaftliches Engagement und
entsprechendes Auftreten bei einem impulsiven Menschen wie mir ist natürlich. Wenn jemand
eine große Idee trägt, nämlich die der Freiheit des Islam, und sobald man ihr nahe ist,
man sie wieder sich entfernen sieht, wie soll man da nicht entsprechend reagieren. ....
Wenn das Kriechen, Heucheln und Flehen, das
Opfern des allgemeinen Vorteils gegen den eigenen Vorteil, wenn all dies als Zeichen der
Intelligenz bezeichnet werden sollte, dann sei Zeuge trete ich zurück von dieser
Intelligenz. Dann ist Irrsinn eine Stufe der Unschuldigkeit und ich ziehe ihn vor.
Ich möchte nun einiges Weitere erläutern. Zu
Punkt eins des vorher Gesagten ist noch anzumerken:
Meine Erscheinung ist fremd. Damit distanziere ich
mich von weltlichen Absichten und trage mit den hiesigen Traditionen einen Widerspruch. Es
ist lediglich ein Ausdruck meiner Natürlichkeit und der Liebe zu meinem Land. ....
Der Grund meiner Dispute mit den Gelehrten ist
folgender:
Als ich nach Istanbul kam, stellte ich fest,
dass
die Medresen (theologischen Schulen) sich im Vergleich mit anderen Schulen nicht
entwickelt haben. Statt wissenschaftlich zu arbeiten wird ein passives Buchstudium
betrieben und unter den Schülern hat sich eine Lustlosigkeit, Trägheit und Unfähigkeit
breit gemacht. Um das zu beseitigen und um die Motivation zu fördern, sollte das Studium
in Form von Frage und Antwort angeboten und der Lehrstoff in Disziplinen gegliedert
werden. Die Schüler sollten nach ihren Fähigkeiten in einer entsprechenden Disziplin
sich qualifizieren können.
In diesem Jahrhundert des Fortschritts hat sich die
wahre Zivilisation Islam im Vergleich zur westlichen Zivilisation aufgrund der
unterschiedlichen Methodik und des gegenseitigen Ablehnens von Medresen, Tekken
(Ordenshäuser) und staatlichen Schulen nicht entwickelt.
Dieser Missstand ließe
sich beheben, indem in den Medresen statt der überflüssig gewordenen griechischen
Philosophie Naturwissenschaften und in den staatlichen Schulen Religionswissenschaften
gelehrt werden. Dann sollte die Führung der Tekken sich in den Händen hoher Gelehrter
befinden.
Meine nächste Beanstandung gilt den Hodschas und
Imamen, den Lehrern des einfachen Volkes in den Moscheen:
Früher war die Hingabe und Nachahmung in der
Religiosität groß. Man brauchte weder Beweise noch Nachweise. Jetzt sind die Menschen an
logischen Argumenten und an den Fakten interessiert. Um Akzeptanz zu erzielen, müssen die
Dinge rational dargelegt werden. Man erzeugt Motivation durch Angst und durch unsachliche
Vergleiche werden wichtige Dinge unwichtig gemacht und weniger wichtige Dinge wichtig.
Durch die unzeitgemäßen, orts-, zeit- und situationsfremden Reden der Prediger werden
die Menschen mit alten Geschichten überzogen.
Ich möchte hier nur sagen, unsere Prediger müssen
Forscher sein und recherchieren, damit sie das Gleichgewicht in den religiösen Dingen
nicht stören und durch sachliche Reden überzeugen. .....«
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